Erfolgreiche Verhandlung

Am 14. April 2023 fand die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht über die Beschwerden der Bürgerinititative Nordwestbahnhof und anderer gegen den Genehmigungsbescheid der Wiener Landesregierung (= zuständige Behörde)  für das von der „ÖBB Immobilienmanagement GmbH“ (= ÖBB Immo) beworbenene Städtebauvorhaben Nordwestbahnhof (= Projekt) statt. Die Beschwerdeführer konnten die Argumentation von ÖBB Immo und Behörde zur behaupteten Umweltverträglichkeit insbesondere der angeblich weder erheblichen noch unzumutbaren Straßenverkehrslärmbelastung ihres Projekts erfolgreich in Frage stellen. Das ging so…

Am Anfang der Verhandlung, an der auch die Vertreter der Beschwerde des Forum Wissenschaft & Umwelt (FWU) und der Beschwerde des Anrainers Martin Raab teilnahmen, ersuchte das Gericht die Projektwerberin, zu erläutern, welches Szenario als ‚Nullvariante‘ angenommen wurde und dies detailliert zu begründen.

Gemäß § 1 Z3 UVP-G ist es nämlich „Aufgabe der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)  – und damit der Projektwerberin ÖBB Immo -, … auf fachlicher Grundlage … die umweltrelevanten Vor- und Nachteile des Unterbleibens des Vorhabens – der sogenannten Nullvariante – darzulegen“, damit die Behörde  die Umweltauswirkungen eines Vorhabens mit der Nullvariante vergleichen kann. Falls die Umweltauswirkungen des Projekts verglichen mit der Nullvariante gering negativ oder sogar positiv sind, wird das Projekt von der Behörde genehmigt. Andernfalls wird das Projekt nicht oder nur unter zusätzlichen Nebenbedingungen (= Auflagen, z.B. zusätzlichen Schutzmaßnahmen gegen Straßenverkehrslärm) genehmigt.

Gemäß Rechtssatz VwGH 26.6.1984, 82/04/0092 hat aber „die Behörde … bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit … (eines Projekts)  von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Entscheidung auszugehen und hiebei nicht konkret absehbare Entwicklungen außer Betracht zu lassen.“

Die ÖBB Immo hat in ihrer Projektwerbung als Nullvariante das Szenario des Vollbetriebs des Frachtenbahnhofs wie er 2006 vorlag gewählt und diese Wahl in der Verhandlung wie folgt erläutert:
„Aus eisenbahnrechtlicher Sicht ist der Konsens (= Betriebsgenehmigung), wie er 2006 vorlag, nach wie vor aufrecht und (es) spricht nichts gegen die Wiederaufnahme des Vollbetriebs des Frachtenbahnhofs. Auch wenn inzwischen Frachtenbahnhöfe im Wiener Umland (= z.B.   Güterzentrum Wien Süd in Inzersdorf) errichtet wurden, so zeigt sich, dass der Bedarf und die Nachfrage für den Frachtenschienenverkehr steigt und damit auch die Wiederaufnahme des NW-Bahnhofs durch die Nachfrage am Markt gedeckt wäre. In Hinblick auf die aktuelle Flächenwidmung wäre die Nutzung als Frachtenbahnhof die einzig mögliche …“

Der Rechtsanwalt der Bürgerinitiative Nordwestbahnhof Mag. Schachinger erklärte daraufhin: „Wenn wirklich ein Bedarf wäre, dieses Terminal weiter zu betreiben, dann kann das Städtebauvorhaben nicht verwirklicht werden.“

Daraufhin richtete das Gericht an die ÖBB Immo folgendes Ersuchen:
„Können Sie bitte skizzieren, worin die von Ihnen ins Spiel gebrachte „absehbare  Entwicklung“ an einem de facto bereits aufgelassene Frachtenbahnhof besteht, dessen Kapazitäten bereits zur Gänze auf andere, modernere Frachtenbahnhöfe, ausgelagert worden sind?“

Hintergrund dieses Ersuchens ist, dass der Beschwerdeführer FWU beim Bundesministerium für Klimaschutz (BMK) bereits am 19.12.2022 eine Anfrage zum  „Frachtenbahnhof Nordwestbahnhof“ gestellt hat und am 24.12.2022 vom BMK folgende Antwort erhalten hat:
„Die ÖBB-Infrastruktur AG hat mit Schreiben vom 06.12.2022 gemäß § 28 Eisenbahngesetz  (mit dem Titel ‘Einstellung wegen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit‘) die Einstellung des Betriebes der Eisenbahnstrecken Wien Nordwestbahnhof – Wien Brigittenau Nord (Nord-schleife) … sowie Wien Nordwestbahnhof – Wien Brigittenau Süd (Südschleife) … beim BMK beantragt. Das Einstellungsverfahren gemäß § 28 EisbG ist derzeit noch nicht abgeschlossen.“

Die ÖBB erklärte diesen Antrag zur Einstellung des Eisenbahnbetriebs an das BMK mit einem konzerninternen Kommunikationsfehler zwischen ÖBB Infra und ÖBB Immo wie folgt:
„Vorweg möchte ich festhalten, dass — anders als in der Beschwerdebeantwortung dargelegt – die Einstellung gemäß § 28 Eisenbahngesetz … im Dezember 2022 beantragt wurde. Die irrtümlich falsche Darlegung in der Beschwerdebeantwortung ist auf eine konzerninterne  Fehlkommunikation seitens der Projektwerberin zurückzuführen. Davon unabhängig ist die gewählte Nullvariante aus der Sicht der Projektwerberin korrekt, da nicht davon auszugehen ist, dass bei Nicht-Verwirklichung des Vorhabens der Bahnhofsbetrieb mit der Auslastung aus dem Jahr 2019 (de facto bereits aufgelassener Frachtenbahnhof) fortgeführt werden würde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Frachtenbahnhof wieder reaktiviert werden würde bzw. wieder unter Volllast verwendet werden würde. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Eisenbahnrechtliche Konsens weiterhin aufrecht ist, der Antrag auf Einstellung gemäß § 28 Eisenbahngesetz könnte bei Nicht-Verwirklichung des Vorhabens jederzeit zurückgezogen werden. … Es scheint nicht nachvollziehbar, wenn der Beschwerdeführer (FWU) davon ausgeht, dass das Gelände des NW-Bahnhofes bei Nicht-Verwirklichung des gegenständlichen Vorhabens von der Projektwerberin defacto brachliegen gelassen werden würde.“

Das Gericht fällte daraufhin noch kein Urteil sondern ermöglichte der ÖBB Immo, weitere Unterlagen vorzulegen:
„Der Senat ist zu folgendem vorläufigen Schluss gekommen: Gemäß § 6 UVP-G 2000 ist der UVE (= Umweltverträglichkeitserklärung der Projektwerberin) eine Nullvariante zu Grunde zu legen, mit der die Auswirkungen eines Vorhabens verglichen werden können. Die Nullvariante hat grundsätzlich den auf die Betriebszeit des Vorhabens antizipierten (vorweggenommenen) Zustand der Umwelt darzulegen. Das kann mehr oder minder eine Fortschreibung des Ist-Zustandes zum Zeitpunkt der Entscheidung, oder die Berücksichtigung einer bereits konkret absehbaren Entwicklung bedeuten. Die Absehbarkeit einer Entwicklung richtet sich nach der Judikatur grundsätzlich danach, ob Bewilligungen bestehen oder zumindest beantragt sind, die eine bestimmte Entwicklung bestimmbar machen. Im Fall des gegenständlichen Vorhabens liegt ein Konsens für einen Frachtenbahnhof vor. … Es ist jedoch zu vermuten, dass dieser (Konsens) keine konkreten Verkehrszahlen, entweder angegeben als Maximalkapazität oder als betrieblich machbar festlegt. Nach Ansicht des Gerichts ist es nicht ausreichend, auf einen Betriebszustand des Jahres 2006 abzustellen, ohne im Einzelnen darzulegen, in wie weit das Erreichen dieses Betriebszustandes und insbesondere des dadurch verursachten Straßenverkehrs in der Zukunft (z.B. im Jahr 2035 = Fertigstellung des Projekts) realistisch und absehbar ist. Aus diesem Grund wird die Projektwerberin weitere Unterlagen vorzulegen haben, die ein Tatsachensubstrat für die Annahme eines für die  Zukunft konkret absehbaren Weiterbetriebs und seiner Auswirkungen bilden können.“

Die ÖBB Immo erklärte daraufhin:
„Die Projektwerberin bleibt bei ihrem Standpunkt, räumt aber ein, dass über die Absehbarkeit der verschiedenen Nullvarianten keine fachlichen Daten zur Verfügung stehen. Die Projektwerberin wird daher der Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts nachkommen und geht davon aus, dass sie diese innerhalb von drei Monaten erfüllen wird können.“

Mag. Schachinger gab daraufhin folgendes zu Bedenken:
„Die Frage ist, wie es dann weitergeht. Ergibt die UVE dann eine andere Auswirkung auf die Nachbarn? Das Thema ist, ob Verfahrensschritte eventuell wiederholt werden müssen.

Das Gericht beendete die Verhandlung mit dem Statement:
„Je nachdem wie die Vorlage der Projektwerberin dann aussieht, ist eventuell ein eisenbahntechnischer Sachverständiger zu bestellen und in der Folge dann andere Sachverständige zum Beispiel die Amtssachverständigen, die weitere Gutachten abgeben. Ich ersuche Sie, mit der Vorlage des fachlichen Vorbringens zur Nullvariante ein Update zur UVE vorzulegen für jeden Fachbereich, gegebenenfalls No-Impact-Statements.“

Der Rechtsanwalt der BI Nordwestbahnhof Mag. Schachinger rechnet mit der Fortsetzung der Verhandlung im Herbst 2023.

Hiermit stellen wir die vollständige Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14. April 2023 zur Verfügung.


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Comments

Eine Antwort zu „Erfolgreiche Verhandlung“

  1. Avatar von Brigitte Leopold
    Brigitte Leopold

    Ich habe an allem was gegen die Errichtung, in der jetzigen Form, der Bebauung des Nordbahnviertels zu unternehmen war, teilgenommen. Unter anderem habe ich viele Gespräche, Telefonate, Briefe von mir gegeben, alle haben mir recht gegeben, aber geholfen hat es NICHTS. Heute sind die 100jährigen Bäume, Sträucher, Getier vielfältigster Art bis auf einen lächerlichen „grüne Mitte“ genannten Teil verschwunden, dafür ist alles versiegelt und zubetoniert für die Ewigkeit. Die versprochene Begrünung der Fassaden zumindest, kann ich nirgends finden, auch die Erhaltung der alten Bäume ein schlechter Witz! Das Klima für uns schon vorher dagewesene Anrainer hat sich massiv verschlechtert, jetzt schon, obwohl noch gar nicht fertig das Vorgesehene, schreckliche Betonmassaker, mehr starker Wind, mehr Hitze, nächtens keine Abkühlung USW der Autoverkehr ist unvorstellbar viel und laut gestiegen, da spreche ich nicht vom Baustellenlärm, der unerträglich ist. Wir hatten in der Dresdnerstrasse/ Nordbahnstrasse/ Taborstrasse Grünoase dichtester Beschaffenheit Visavis zur Verbesserung des Stadtklimas! Hervorragend für Mensch und Tier, das darin lebte! Alles vernichtet!! Hier wäre es kostenlos gewesen, man hätte keine Millionen Euro dafür auszugeben gebraucht.
    Es ist nach wie vor unverständlich, kontraproduktiv und zum Weinen!
    Meiner Meinung nach, wird auch auf dem Nordwestbahngelände außer Versprechungen nur das Gleiche passieren! Hier wird zwar soviel Altbestand an Grün nicht vernichtet, weil gar nicht da, aber trotzdem würde die vorgesehene Bebauung ein massiver Eingriff in Wohnqualität was Lärm, Klima , Luft, Umweltverträglichkeit usw betrifft sein. Es müsste sichergestellt werden, dass Fassaden begrünt werden, Besseres an Baumaterialien, auf Hitze und Windverhältnisse mehr Rücksicht genommen und noch vieles mehr! Man kann heute sehr wohl bauen, ohne alle die Nachteile von gestern nicht zu berücksichtigen. Zeitgemäß , dem Forschungsstand entsprechend, damit unsere Kinder, unserer Generation nicht die Pest an den Hals wünschen!
    Mit freundlichen Grüßen Brigitte Leopold

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